Forschung · 6 min read
Die Lehrkraft stört – Studien zum unterstützenden Verhalten von Lehrkräften
Forschungsprojekt von Prof. Dr. Jens Siemon zur Untersuchung von Lehrer-Schüler-Interaktionen in offenen Lernphasen unter Verwendung von Mangold INTERACT für synchronisierte Multikamera-Beobachtung und -Analyse.
Studien zum unterstützenden Verhalten von Lehrkräften während des offenen Lernens. Ein Projekt von Professor Dr. Jens Siemon, Universität Hamburg, Deutschland.
Das Projekt
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Rolle der Lehrkräfte allmählich vom Wissensvermittler zum Begleiter selbstorganisiert lernender Schülerinnen und Schüler entwickelt. Verschiedene Studien zeigen, dass der Anteil schülerzentrierter Lernphasen, in denen die Lehrkraft die Schülerinnen und Schüler in Einzel- oder Gruppengesprächen unterstützt, je nach Schultyp zwischen 40% und 80% liegt.
Während die lehrerzentrierten Phasen gründlich erforscht wurden, sind die offenen Lernphasen in einer realen Schulumgebung bisher kaum untersucht worden. Der Hauptgrund dafür ist, dass direkte Beobachtungen durch die Anwesenheit von Personen und Kameras so stark beeinflusst werden, dass es unmöglich ist, daraus aussagekräftige Schlüsse zu ziehen.
Die Herausforderung
Wie können wir die individuellen Unterstützungssituationen zwischen Schülern und Lehrern in offenen Lernphasen so beobachten, dass der Einfluss der Beobachtung minimiert wird, und wie können wir die Auswirkungen der Unterstützung durch die Lehrkräfte messen?
Forschungsdesign
Wir beobachteten 85 Unterrichtsstunden an einer Vielzahl von Berufsschulen mit einer durchschnittlichen Dauer von 74 Minuten. Je nach Klassenzimmer wurden zwischen drei und sechs HD-Kameras im Raum positioniert, sodass jeder Schüler aus mindestens zwei verschiedenen Winkeln beobachtet werden konnte.
Zusätzlich wurde jeder Schüler und Lehrer mit einem Aufnahmegerät ausgestattet, das mit einem Band um den Hals gebunden war. Die Aufnahmen wurden zunächst lokal auf dem Gerät gespeichert und später in Mangold INTERACT zusammengeführt und synchronisiert. Vor der Stunde wurde nach dem Start aller Aufnahmegeräte eine Klappe verwendet, damit alle Audio- und Videosignale einen gemeinsamen Synchronisationspunkt hatten.
Instrumente
Basierend auf den Theorien zur Nutzung der Lernzeit und zum unterstützenden Verhalten von Lehrkräften wurden für diese Studie drei Kodierhandbücher entwickelt und auf ihre Zuverlässigkeit getestet.
Hinsichtlich der Nutzung der Lernzeit wurde nur ein Merkmal untersucht. Dieses gab an, ob der Schüler an der gestellten Aufgabe arbeitete, organisatorische Aufgaben erledigte oder keine relevanten Aktivitäten ausführte. Im letzteren Fall wurde unterschieden, ob der Schüler berechtigt war, eine Pause zu machen, weil er die Lernaufgabe beendet hatte, oder ob er während der Lernzeit privaten Aktivitäten nachging.
Nach Tests bezüglich des Kodieraufwands und der Inter-Kodierer-Reliabilität entschieden wir uns für ein Zeit-Sampling mit Einheiten von 10 Sekunden. Insgesamt wurden auf diese Weise 286.817 Einzelbeobachtungen des Schülerverhaltens kodiert. Aufgrund der begrenzten Interpretationsmöglichkeiten durch die Kodierer lag die Inter-Kodierer-Reliabilität (Kappa) konstant über 0,9.
Um das Verhalten der Lehrkräfte zu erfassen, wurde das gesamte Ereignis zunächst mittels Ereignis-Sampling beschrieben. Es wurden Daten darüber gesammelt, wer das unterstützende Ereignis initiierte und wer die Unterstützung erhielt. Des Weiteren wurden die individuellen Aktivitäten jedes unterstützenden Ereignisses dokumentiert. Dabei wurde unter anderem unterschieden zwischen Erklärungen, Kontrolle des Lernverhaltens, motivierendem Lehrverhalten, Dialogen auf Augenhöhe, Erklärungen zum Sinn der Aufgabe und diagnostischen Aktivitäten.
Da sich die kodierten Zeiten und die Interpretation der Handlungen einer Lehrkraft unterscheiden können, was einen großen Interpretationsspielraum verursachte, wurde ein Kodierer-Training eingerichtet. Die Kodierer mussten ein Training und einen entsprechenden Test bestehen, bevor sie mit der eigentlichen Kodierung beginnen durften. Anschließend konnte die Inter-Kodierer-Reliabilität (Kappa) auf über 0,6 (zufriedenstellend) erhöht werden. Insgesamt wurden 860 Unterstützungsaktivitäten mit 4.973 Teilaktivitäten beobachtet.
Ergebnisse
Basierend auf einer Clusteranalyse (Ward) können vier verschiedene Lehrertypen unterschieden werden. (Vorläufig) könnten wir sie “Inhaltsvermittler”, “Schülerversteher”, “Kontrollfreaks” und “zurückhaltende Personen” nennen.
Bezüglich der Auswirkungen der einzelnen unterstützenden Handlungen können sowohl positive als auch eindeutig negative Effekte auf die Nutzung der Lernzeit durch den Schüler beobachtet werden. Von besonderem Interesse ist, dass keiner der Lehrertypen durchgehend positives oder negatives Verhalten zeigt.
Nach Abschluss der Studie werden die Ergebnisse höchstwahrscheinlich für die Lehrerfortbildung verwendet.
Datenerfassung
Unserer Meinung nach ist das INTERACT Softwarepaket das am besten geeignete Werkzeug für das beschriebene Forschungsdesign, angefangen bei der besonderen Art der Datenerfassung, die in realen Schulen und Klassenzimmern durchgeführt wird (keine Laborbedingungen).
Die Möglichkeit, eine nachträgliche Synchronisation und parallel geschaltete, zu- und abschaltbare Quellen für Beobachtung und Kodierung zu nutzen (bis zu sechs HD-Videos und bis zu 30 Audiospuren, nie alle gleichzeitig laufend), hat uns die Umsetzung dieses Forschungsdesigns ermöglicht.
Entwicklung von Kodierhandbüchern
Jedes der Kodierhandbücher durchlief während seiner Entwicklung mehrere Iterationen. Es wurde kontinuierlich getestet, welche Interpretationsspielräume gegeben waren und welche eliminiert werden sollten. Der Test der Inter-Kodierer-Reliabilität und die Visualisierungsoptionen für Abweichungen zwischen Kodierungen derselben Aufnahme waren in dieser Phase eine große Hilfe.
Kodierung
Viele Studierende, die ihre Bachelor- und Masterarbeiten auf der Grundlage der Beobachtungen mehrerer Unterrichtsstunden, spezifischer Vergleiche und deskriptiver Auswertungen schrieben, waren an der Kodierung des Datenmaterials beteiligt.
Das Training in Mangold INTERACT wurde von einem Tutorenteam unterstützt und lief reibungslos ab. Die Qualität der Kodierungen wurde durch den zufälligen Vergleich verschiedener Kodierungen derselben Unterrichtsstunde sichergestellt. Die Datenaggregation wurde durch die Exportfunktionen der Software sehr gut unterstützt.
Analyse
Mangold INTERACT bietet umfassende Auswertungsfunktionen, die für verschiedene Anwendungen zur Verfügung stehen. Es war einfach, alle DatenSets zu exportieren und für die Zusammenfassungsanalyse in eine relationale Datenbank zu importieren. Von dort aus können sie leicht für die statistische Analyse weiterverarbeitet werden, in unserem Fall mit SPSS von IBM.
Support
Wir fragen uns regelmäßig, ob es möglich ist, eine spezifische Forschungsfrage oder Datenzusammenstellung mit der Software zu bearbeiten. In diesen Fällen schätzen wir es sehr, mit dem Team von Mangold in Kontakt treten zu können, das uns stets mit Rat oder den richtigen Prozessen zur Seite steht. Dank Mangolds Unterstützung konnten wir mehrere Probleme lösen, die sonst unsere Forschung beeinträchtigt hätten. Insbesondere während der Pandemie stellte Mangold sicher, dass wir unsere Forschung fortsetzen konnten, obwohl die erworbenen Lizenzen dies nicht abdeckten. Die Flexibilität und Hilfsbereitschaft, die Mangold in dieser Situation zeigte, waren einzigartig.
Persönliches Feedback
Als Leiter eines Teams von wissenschaftlichen Mitarbeitern und Studenten und als Betreuer von 20 - 30 Masterarbeiten pro Jahr bietet mir Mangold INTERACT eine unglaubliche Unterstützung. Die Funktionen der Software erfüllen nicht nur meine Erwartungen in allen Phasen des Forschungsprozesses, sondern übertreffen sie häufig sogar. Einige neue Forschungsfragen und deren Antworten wurden sogar durch unentdeckte Funktionen inspiriert und konnten auf der Grundlage vorhandener Daten beantwortet werden. Wir freuen uns darauf, unsere Forschungsergebnisse bald zu veröffentlichen und erwarten eine große Resonanz aus der Forschungsgemeinschaft, auch dank der Prozesse, die wir durch Mangold INTERACT nutzen konnten. Ich würde die Software jederzeit wieder für zukünftige Forschungsprojekte einsetzen.
Professor Dr. Jens Siemon, Universität Hamburg
Fakultät für Erziehungswissenschaft
Arbeitsbereich Berufs- und Wirtschaftspädagogik
Sedanstraße 19, 20146 Hamburg, Deutschland
Telefon: +49 40 42838-3738
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